Die Herausforderung, einen neuen Alltag zu gestalten

    Da ist sie die Sehnsucht nach dem Ende der Krise: Danach, dass alles wieder so wie vorher ist. Danach die persönliche, familiäre oder berufliche Krise zu überwinden. Boris Zigawe und Katharina Kinast sind Systemische Personal & Business Coaches, sowie Mediator und Mentorin in Zürich. Hier erklären sie, wieso man die aktuelle Situation und die damit verbundenen Herausforderungen nicht einfach wegimpfen kann. Sie geben Tipps, wie man gestärkt und optimistisch durch die Krise kommt und für die Zeit danach Strategien zur Hand hat. Dazu haben sie ein 5-Phasen-Programm kreiert.

    (Bild: pixabay) Aus Problemen Wünsche machen: Trotz Krise in der Balance sein und mit vielen neuen Erkenntnissen auch für die Zeit nach der Krise optimal gerüstet sein.

    Die Corona-Krise wirkt in sämtlichen Lebensbereichen und zieht Veränderungen nach sich. Wie reagieren die Menschen in der Schweiz darauf?
    Auch wenn die Menschen in der Schweiz vermutlich etwas anders mit der Situation umgehen als die Menschen in Österreich, Deutschland oder anderen Ländern: Die Krise findet ganz spezifisch in jedem Einzelnen statt und wird so zu einem ganz eigenen Thema und einer individuellen Herausforderung.
    Wir haben Umfragen durchgeführt und die Ergebnisse waren vielfältig. Stehen auf der einen Seite negative Emotionen wie Unsicherheit, Existenz-, Zukunfts- oder Verlustängste, Anspannung, Wut, Trauer, so gibt es gleichzeitig auf der anderen Seite auch positive Effekte wie Entschleunigung, mehr Zeit für sich oder die Familie, Fokussierung auf Wesentliches oder tiefere, intensivere Kontakte.

    Viele Menschen wurden im vergangenen Jahr durch Corona aus der Bahn geworfen und fühlen sich unsicher. Wie wirkt sich das aus im persönlichen wie auch gesellschaftlichen Umfeld?
    Unsere Gesellschaft ist in zwei Lager gespalten, bis in die Familien hinein. Es gibt eine Wertediskussion zwischen Wirtschaft, Gesundheit und Grundrechten. Die persönlichen Auswirkungen sind sehr unterschiedlich. Erleben einige Homeoffice und Entschleunigung als Segen, ist für andere die Omnipräsenz der Familie auf engstem Raum oder der Abstand zu Kollegen und Freunden eine grosse psychische Belastung. Oft weiss man nicht, wo man steht. Dazu kommt die unklare zeitliche Perspektive. Das führt zu Orientierungslosigkeit, Ohnmacht und Kontrollverlust und damit zu anhaltendem Stress.

    Wann ist es Zeit professionelle Hilfe zu holen?
    Sobald die Gedanken nur noch um das Thema «Krise» kreisen, negativ behaftet sind und sich verselbständigen, so dass man in eine Art «Problemtrance» kommt und sich ein Gefühl der Ohnmacht oder Angst breit machen. Man sieht keine Lösung, schon gar keine einfache, fühlt sich ausgeliefert, handlungsunfähig. Auch, wenn Konflikte entstehen oder eskalieren, denen man sich selbst nicht mehr gewachsen fühlt. Idealerweise hat man ein Gespür dafür und auch eine Verantwortung gegenüber sich selbst und agiert hier präventiv, bevor das Gedankenkarussell Fahrt aufnimmt oder Konflikte bedrohliche Ausmasse annehmen.

    Wieso tun sich viele sehr schwer, professionelle Unterstützung anzufordern?
    Sich Hilfe zu holen, wird leider oft als Versagen, Eingeständnis von Schwäche oder Makel empfunden, weil man etwas selbst nicht mehr im Griff hat. So werden Konsequenzen meist erst dann ergriffen, wenn sich psychosomatische Symptome einstellen, wenn zum Beispiel aus anfänglichen Anzeichen wie Antriebslosigkeit, Sorgen oder Nervosität belastende Konflikte, Schlafstörungen oder Depressionen werden. Viele überfordert die Vielzahl der Angebote, unter welchen es leider auch einige unseriöse Anbieter gibt. Nicht zuletzt wissen viele nicht, welche Hilfsangebote es überhaupt gibt und wie sich diese unterscheiden. Teilweise schreckt auch die Ansteckungsgefahr ab. Deshalb berücksichtigen wir Hygienestandards und haben unsere Angebote gezielt online- und telefontauglich gestaltet.

    Nicht jede und jeder, der Mühe mit der Krise hat, ist krank oder benötigt Psychotherapie. Was kann sie/er dann tun?
    Zunächst einmal: Es ist vermutlich nichts so «normal», wie aktuell Mühe mit der Krise zu haben. Wir können nicht auf bewährte Verhaltensmuster oder Bewältigungsstrategien zurückgreifen. Es gilt, Mechanismen zu entwickeln, um in Balance zu bleiben oder Resilienz aufzubauen. Manchen Menschen helfen kleine Übungen oder Routinen, um wieder auf die Spur zu kommen, sich zu fokussieren oder um zu erkennen, was an der Situation gerade gut ist. Sich mit einem positiven Netzwerk zu umgeben, ist ebenso hilfreich wie Ziele zu formulieren und zuversichtlich in die Zukunft zu schauen. Die Menschen, denen das nicht gelingt, die aber psychisch gesund sind, können mit Hilfe von unterstützendem Coaching den Blick nach vorne richten und eigene Lösungen finden.

    Wie kann man mit psychischem Wohlbefinden dieses noch junge Jahr angehen?
    Über das vergangene Jahr reflektieren und schauen, was war gut, welche Herausforderungen habe ich gemeistert und wie habe ich das geschafft. Was hat mir gutgetan und wer hat mir gutgetan? All diese Dinge auch jetzt haben und machen zu können, stimmt zuversichtlich und optimistisch. Es ist wichtig, in Lösungen und Wünschen zu denken, weg von Problemen und psychischen Belastungen. Wovon kann ich mich verabschieden, was kann ich loslassen, was kann ich akzeptieren? Priorisieren und in kleinen Schritten denken, nimmt Druck. So startet man mit einem guten Überblick und realistischen Vorhaben, was Sicherheit und Planbarkeit vermittelt.

    Sie haben ein spezielles Krisen-Coaching entwickelt, das auf einem fünf-Phasen-Programm basiert. Wie funktioniert das?
    Die fünf Phasen sind Reflektieren – Fokussieren – Kreieren – Agieren – Integrieren. Nach der Reflexion über das vergangene Jahr werden Veränderungswünsche, nicht Veränderbares und Erhaltenswertes identifiziert. Daraus konstruieren wir eine erstrebenswerte Zukunft nach der Krise und entwickeln konkrete Handlungsschritte dorthin. Wir lenken die Aufmerksamkeit auf die Veränderungspotentiale mit den grössten Auswirkungen. Am Ende steht die Integration in den gesamten Lebenskontext. Wichtigstes Element ist, ein zukunfts- und lösungsorientiertes Denken zu entwickeln. Ziel ist, gestärkt und optimistisch durch die Krise zu kommen und für die Zeit danach Strategien zur Hand haben.

    (Bild: zVg) Das Power-Duo aus Zürich: Katharina Kinast und Boris Zigawe haben die aktuelle Situation zum Anlass genommen, ein spezielles Krisen-Coaching zu entwickeln.

    Sie setzen auf ein massgeschneidertes Coaching. Was sind da die Vorteile?
    Viele Menschen sind verwirrt von den vielen Tipps und Ratschlägen in den Medien. Unser Ansatz basiert auf einer sehr individuellen Sicht auf die unterschiedlichen Lebenskontexte sowie den persönlichen Kompetenzen und Wünschen unserer Klienten. So individuell jeder Mensch mit seinem Anliegen ist, so speziell ist sein Lebenskontext und so einzigartig sein Lösungsweg. Unsere Erfahrung ist, dass eine selbst erarbeitete Lösung wesentlich nachhaltiger und alltagstauglicher ist. Zudem ist es bestärkend, wenn ein Klient im Prozess eine Entwicklung durchläuft und Schritt für Schritt spürt, wie er seine (Etappen-)Ziele erreicht und erkennt, was dadurch möglich wird. Das entspricht unserer Grundüberzeugung, dass es eine Wechselwirkung zwischen den Lebensbereichen gibt, und dass der Klient Experte für seine eigene Lösung ist.

    Leichtigkeit und Humor spielen eine Rolle beim Coaching. Wie muss man sich das vorstellen?
    Humor ist eine wichtige Ressource für die psychische Gesundheit und Ventil zur Entlastung, der Stressbewältigung und hilft bei der Neubewertung von schwierigen Situationen. Glückshormone durchfluten das Belohnungszentrum im Gehirn. Unter deren Einfluss denken wir schneller, bilden leichter Assoziationen und sind kreativer. Wir möchten den Themen die Schwere nehmen. Wir regen an, Dinge auch mal unter einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Da kommt der ein oder andere bezüglich seines Denkens oder Verhaltens schon mal ins Schmunzeln. Humorvolle Fragen machen nicht nur Klienten und Coach Spass, sie können auch Türöffner sein für ganz neue Gedanken und Perspektiven. Deshalb sind wir aber nicht weniger ernsthaft. Humorvolles Vorgehen ist stark themen- und menschenabhängig und nicht immer angebracht. Für die richtige Dosierung braucht es ein gutes Gespür und Menschenkenntnis.

    Welche Schwierigkeiten und Herausforderungen können nach der Krise auftreten?
    Festzustellen, dass wir die Uhren nicht einfach zurückstellen können, dass sich die unliebsamen Veränderungen nicht «wegimpfen» lassen. Ob Veränderungen im sozialen Umfeld, auf dem Arbeitsmarkt, in der Gesellschaft oder die erst mittel- bis langfristig spürbaren wirtschaftlichen bzw. finanziellen Folgen – vieles wird uns erst später bewusst werden. Eine weitere Gefahr: Die Vorkrisenzeit wird glorifiziert. Viele Themen und Konflikte waren aber schon vorher latent da, wurden durch die Pandemie nur an die Oberfläche gespült. Die Übergangszeit wird uns Schwierigkeiten bereiten. Wie verhalte ich mich nun konkret, was ist konform und wie weit ist mein Gegenüber? Selbst wenn es nur ums Händeschütteln geht. Es wird eine Weile dauern und hier und da knirschen, bis wir uns wieder eingespielt haben und (neue) Routinen leben können.
    Die grösste Herausforderung wird sein, einen neuen Alltag zu kreieren und zu etablieren. Zu akzeptieren, dass manches nicht mehr so ist und nicht mehr so sein kann wie vorher. Und darauf vorbereitet zu sein, dass einige Folgen erst verzögert eintreten. Für die Zeit danach offen, flexibel und vorbereitet zu sein, wird es uns erleichtern, die Situation anzunehmen und erfolgreich zu managen.

    Interview: Corinne Remund


     

    Über Katharina Kinast: Als systemischer Coach unterstützt sie ihre Klienten bei jeglicher Art von Veränderungsprozessen, egal ob bei persönlichen Anliegen oder jobbezogenen Themen. Jedes Anliegen schaut sie gemeinsam mit dem Klienten im individuellen Kontext an. Ihr Credo ist es, mit ihrem Coaching einen positiven Unterschied zu machen. Ihre Klienten sollen das Coaching stets mit einem besseren Gefühl verlassen, als mit welchem sie gekommen sind. Infos: www.eunoia-coaching.com

    Über Boris Zigawe: Seine Arbeit als Coach und Mediator enthält wirkungsvolle Elemente der Psychologie, des neurolinguistischen Programmierens (NLP), der lösungsorientierten Kurzzeittherapie und der systemischen Beratung. In seiner Arbeit spielt die Kraft des Perspektivwechsels eine wesentliche Rolle. So regt er seine Klienten an, auch mal Unmögliches zu denken und Mögliches in kleinen Schritten zu realisieren. Er ist der festen Überzeugung, dass Menschen alle Fähigkeiten für das Erreichen Ihrer Wünsche besitzen und sie die besten Lösungen bereits in sich tragen. Infos: www.laut-gedacht.ch

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