Nach dem Höhenflug die Bruchlandung

    Florian Burkhardt reüssiert als Snowboardpionier, Supermodel, surft auf der Dotcom-Blase und wird König der Zürcher Clubszene. Bis ihn eine generalisierte Angststörung und eine soziale Phobie packen. Das Leben auf der Überholspur findet ein abruptes Ende in der psychiatrischen Klinik. Nach dem Bestseller «Das Kind meiner Mutter» präsentiert Burkhardt am 10. März 2018 im Riffraff Zürich das zweite Werk über seine Achterbahnfahrt mit dem Titel «Das Gewicht der Freiheit».

    (Bild: Lorenzo Marcucci) Florian Burkhardt auf dem Höhepunkt seiner Modelkarriere.

    1973, Florian ist noch nicht geboren, verunglückt die Familie Burkhardt auf dem Weg zum Skifahren bei einem Überholmanöver auf eisiger Strasse. Das Auto schlittert in die Leitplanke, wird entzweigerissen und Florians Bruder Andreas überlebt den Unfall nicht. Florians Vater, von Schuldgefühlen geplagt, sucht und findet Halt in der Religion. Florians Mutter wird kurz darauf mit Florian schwanger. Schon bei der Geburt (1974) lastet eine schwere Bürde auf ihm. Er soll die Lücke schliessen, die sein verstorbener Bruder hinterlassen hat. Es folgt eine klassische Überführsorge durch die Mutter, die vom Unfalltod eines ihrer Kinder traumatisiert ist. Florian wird als Prinz und Erlöser gefeiert. Die Mutter richtet den ganzen Fokus und all ihre Energie auf den neugeborenen Sohn. Aus Angst, erneut ein Kind zu verlieren, versucht die Mutter, Florian vor allen Einflüssen einer gefährlichen Welt zu beschützen. Fahrrad fahren, Radio hören, Fernseh schauen ist verboten. Als 14-jähriger spielt Florian immer noch mit kleineren Kindern, da die Mutter Angst hat, dass Gleichaltrige ihn zum Konsum von Drogen oder Alkohol verführen könnten. Alles wird getan, damit Florian nichts zustossen kann. Obwohl er die Kunstgewerbeschule besuchen will, landet Florian auf Drängen seiner Eltern in einem katholischen Jungeninternat, wo er zum Grundschullehrer ausgebildet werden soll. Fünf Jahre verbringt Florian dort, bis er, das Diplom in der Tasche, sich mit 21 Jahren eilig auf und davon macht und sein eigenes Leben beginnt – und jeglichen Kontakt zu den Eltern abbricht.

    Snowboard-König
    Schon im Internat entdeckte Florian 1993 den neuen, exotischen Sport des Snowboardens. Ab diesem Zeitpunkt begann sein rasanter Aufstieg. Er wurde während seiner Ausbildung Profi. Der mehrfach gesponserte Snowboardfahrer wurde als «neuer Wilder» gefeiert. Mit 19 Jahren gründete er mit «Board Generation» das erste Snowboard-Magazin, das schnell zum auflagenstärksten Snowboard-Magazin im deutschsprachigen Europa wurde. Nach der Ausbildung zog er 1995 nach Graubünden, um sich ganz dem Snowboarden zu widmen. Doch in den Bergen wird es ihm bald zu eng. Er hat sich den nie erlaubten Fernseher gekauft, in dem er Hollywood für sich entdeckt.

    (Bild: Fotosolar) Das Modeln öffnete Florian viele Türen.

    Model-Karriere
    Es ist 1996. Florian Burkhardt ist 21 und will von der Schweiz nach Los Angeles auswandern, um ein berühmter Schauspieler zu werden. Er findet einen Financier. Mit ihm, der seinen europäischen Manager spielt, überquert er den Atlantik, um in Hollywood Karriere zu machen. Von der Idee besessen, hat er ein gefälschtes Portfolio zusammengestellt; er gibt an, mehrere Filmpreise gewonnen zu haben. Er hat sogar Fotos machen lassen, die Szenen aus Filmen vorgeben, in denen er mitgespielt habe. Es ist die Zeit vor dem Internet, er kommt mit dem Schwindel durch. Ein renommierter Schauspielagent nimmt ihn unter Vertrag, und die Türen des Showbusiness stehen ihm offen. Zu seiner eigenen Überraschung lässt sich die Welt nur zu gerne erobern. Er schafft es bis zum Kumpel berühmter Filmstars und beinahe zum Charakter in der damals angesagtesten TV-Serie. Aber Florian hat keine Geduld. Was für viele Menschen der grosse Traum ist, langweilt ihn schnell. Nach nur wenigen Monaten in der schillernden Hollywoodwelt heisst es für Florian auf zu neuen Ufern. Quasi nebenbei hat sich eine andere Türe geöffnet, das Modeln. Er erhält über eine Agentur Aufträge. Nach einem Job für ein amerikanisches Magazin wird Florian von einem Modelagenten aus Mailand entdeckt. Burkhardt startet eine Model-Karriere, die ihn von Milano nach New York, Paris, London und Tokio katapultiert. Er wird von den berühmtesten Agenturen unter Vertrag genommen und läuft Modeschauen für u.a. Dolce & Gabbana und Moschino. Gucci und Prada streiten sich sogar um Exklusiv-Verträge. Er wird zum Newcomer des Jahres gewählt und zieht nach New York, wo er mit den berühmtesten Fotografen arbeitet, darunter Albert Watson und David LaChapelle. Florian lebt ein weiteres Mal den grossen Traum.

    Vom Laufsteg auf den Bauernhof
    Eine innere wie äussere Entfremdung nimmt in Florians Leben in dieser Zeit laufend zu: Er steht an der Schwelle zum Grössenwahn. Isoliert von der Umwelt, ohne Freunde und Liebesleben, steht der gefeierte Burkhardt eigentlich am Abgrund. Er verliebt sich während eines Besuchs im heimatlichen Zürich. Ein einfacher Bauernsohn hat sein Herz erobert. Auf der Spitze des Erfolgs zieht er sich zurück und setzt seiner Model-Karriere ein Ende. Er lässt seine Agenten wissen, dass sie keine Buchungen mehr annehmen sollen und zieht zu seinem Freund auf den Bauernhof, um das einfache Leben und die erste Liebe zu geniessen.

    Nachdem die Beziehung schnell in die Brüche gegangen ist und weil das Wort «unmöglich» in Burkhardts Welt nicht existiert, startet er 1999 mit verrückten Ideen in der noch ganz neuen Internetwelt durch. Er fängt an, Multimedia Design zu studieren, arbeitet als Konzepter bei der damals angesagtesten Zürcher Internetagentur und avanciert in kürzester Zeit zum gefeierten und hoch bezahlten Internetpionier. Er entwickelt Websites für Firmen wie die Migros, Swisscom und SRF. Das Web ist noch neu. Burkhardt ist Querdenker und am Puls der Internetrevolution. Er kreiert als Erster ein Videoportal und stellt damit lange vor YouTube bewegte Bilder ins Netz. Sein Leben im Eiltempo entpuppt sich immer mehr als Flucht vor seiner Herkunft und Vergangenheit, die ihn unerbittlich einholen. Die psychische Belastung staut sich in ihm an, und es folgt der gesundheitliche Zusammenbruch.

    Der Absturz
    An einem Tag im Jahr 2001. Florian muss sich am Hauptbahnhof Zürich auf eine Bank setzen und ist gezwungen, dort sitzen zu bleiben, als er merkt, dass seine Beine den Dienst versagen. Er kann nicht mehr Tram, Zug und Taxi fahren, weil er sofort Panikattacken bekommt. Monatelang verlässt er seine Wohnung nicht, hat Angstzustände. Von heute auf morgen gibt er alles auf. Er zieht sich komplett aus der Öffentlichkeit zurück. Die Panikattacken und Phobien bestimmen seinen Alltag. Als er es auch in der Wohnung nicht mehr aushält, lässt er sich ins «Burghölzli» einweisen, die Psychiatrische Klinik Zürichs. Dort wird ihm eine «Generalisierte Angststörung bei narzisstischer Persönlichkeitsstruktur mit Selbstwert- und Identitätsproblematik mit Anteilen einer sozialen Phobie» diagnostiziert. Seine Phobien können nur mit Medikamenten in Schach gehalten werden. In langen Monaten muss er wieder lernen, eine Tür zu öffnen, Licht zu ertragen und aus dem Gebäude zu gehen. Als Florian die Klinik verlassen kann, zieht er ins ruhigere Bern, um dort sein hektisches Leben zu verarbeiten. Die Biografie von Florian Burkhardt wird 2014 von Regisseur Marcel Gisler mit dem Kinodokumentarfilm «Electroboy» verfilmt. Der Film gewinnt den Schweizer Filmpreis, den Zürcher Filmpreis, den Publikumspreis am Dokumentarfilmfestival in München und wird in die Auswahl zum Europäischen Filmpreis gewählt.

    Buch-Autor
    Seit 2014 schreibt Burkhardt Kolumnen und Essays für diverse Publikationen in der Schweiz. 2017 erscheint bei Wörterseh sein erster Roman. In «Das Kind meiner Mutter» erzählt er von seiner Kindheit und Jugend. Florian sagt: «Um meine Erfahrungen und Erlebnisse als Kind meiner Eltern selbst zu erzählen, nachdem sie schon so oft von aussen interpretiert wurden.» Das Buch wird zu einem Bestseller. Am 1. Februar 2018 erschien Burkhardts zweites autobiografisches Werk «Das Gewicht der Freiheit» im Verlag Wörterseh. Es behandelt sein Leben als Schauspieler in Hollywood, als weltweit erfolgreiches Model, als Internetpionier und Psychiatriepatient. Darüber sagt Florian Burkhardt: «Mein Leben ist eine moderne Ikarus-Geschichte: Ich hob ab, kam der Sonne zu nahe und verbrannte. Ich habe am eigenen Leib erfahren, wie schwer das Gewicht der Freiheit wiegen kann.»

    ub


    Aktuell
    Die Vernissage zum neuen Buch «Das Gewicht der Freiheit» geht am Samstag, 10. März 2018, 10.30 Uhr, im Kino Riffraff; Neugasse 57 in Zürich über die Bühne. Der Eintritt ist frei.

    Nach 10 Jahren Pause als «electroboy» veröffentlichte Florian Burkhardt zusammen mit Lunik-Produzent Luk Zimmermann am 2. Februar die Single «Nur eine Maschine».

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